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  • AutorenbildJules Cachecoeur

30 UND ROMANTISCH WIE EINE BROTKRUSTE.

Ein Mann, eine Frau, ein Herbstabend – man steht gemeinsam unter dem klaren Sternenhimmel und erblickt den großen Wagen, wie er seine Achse gleich über dem in Gold erleuchtenden Dom mit seinem verträumten Spiegelbild im ruhig daniederliegenden Elbearm erleuchten lässt. Es ist still und wenn mich nicht alles täuscht, wäre dies der richtige Moment  für eine erste zaghafte zärtliche Annäherung, sei es indem er ihre Hand ergreift oder auch nur ein Kompliment über ihr schönes Lächeln rausrückt. It‘s romance, um es zeitgemäß mit einem Anglizismus zu kommentieren. Früher, so mit 17 oder 20, also zu der Zeit, noch bevor Anglizismen in die Gefühlswelt der Menschen Einzug gehalten hatten (schließlich nannte man damals nicht seinen Freund Discman, sondern seinen portablen Plattenspieler), da hätte man das noch schlicht und ergreifend als romantischen Augenblick bezeichnet. Dieses ganze Szenario mit dem Sternenhimmelmotiv. Man hätte sich als Zuhörer*in dieser Narration vielleicht die Szene mit den beiden so am Elbeufer des Nachts unter dem glänzenden Sternenreigen in seinem Kopf ausstaffiert mit schöner Musik, vielleicht Paula Cole oder einem netten Song aus der Grey’s Anatomy-Compilation. Und man hätte geschwelgt in dieser Vorstellung von dem Moment, in welchem sich zwei Menschen einander näher kamen.

Romantik is’ was für Hollywood.

Wenn man 30 ist, findet man derlei Szenarien weniger beeindruckend. Liegt es daran, dass man in den 80ern geboren wurde? Ja, meine Mutter vermutete des Öfteren, meine Andersartigkeit könne mit Tschernobyl, E.T. oder auch dem Fall vom Wickeltisch zusammenhängen.

romance london falling going out

Quelle: giphy.com


Ich allerdings denke, es liegt an der Generation, den Kontextbedingungen, in der diese Generation hineinsozialisiert wurde. Um Szenen wie die oben beschriebenen auch nur einen Funken Romantik abzugewinnen, hatte man als Kind der 80er 1. einfach schon zu viele schlechte amerikanische Liebesschnulzen geschaut, in denen diese Momente förmlich ausgeschlachtet wurden und das menschliche Auge zwischenzeitlich übersättigt war. Man hatte 2. durch diverse zurückliegende, gescheiterte Beziehungen, die mit ähnlichen Erlebnissen gestartet und dann trotzdem in einem Sumpf aus den gängigen Alltagsdesillusionserfahrungen geendet waren, für sich erkannt, sich in derlei Situationen seiner Neigung zu Überinterpretationen nicht bedingungslos hinzugeben, sondern 3. in Anbetracht der Schnelllebigkeit und dem heutigen Überangebot an potenziellen Liebespartner*innen vieles einfach nicht mehr wirklich ernst zu nehmen.

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Quelle: pixabay.com


„Du bist aber ganz schön unromantisch!“, wird mir vielleicht nicht ganz ernst gemeint, aber in meinen Ohren gar nicht mal so abwegig, entgegnet, nachdem ich mich – bei einem Tinderdate wohlgemerkt –  über die üblichen Anbahndungsmuster zwischen zwei Menschen und meine Ernüchterung hierüber auslasse. Ob dies nun für den Herrn ein Ausschlusskriterium ist, sei dahingestellt. Jedenfalls: Ich selber bezeichne mich nicht als unromantisch, aber je mehr ich darüber nachdenke, weshalb man mich für gar unromantisch halten könnte, wird mir klarer, dass sich mein Anspruch an die Kategorie romantisch in den letzten zehn Jahren drastisch geändert hatte. Während ich früher bereits dahinschmolz, wenn der coole Junge aus meiner Band sich mit einem feschen und unaufwändigen Freestyle-Solo auf seiner schwarzen Ibanez-Gitarre im Kurt Cobain-Look vor mich auf den Boden setzte, gehört heute ein bisschen mehr dazu mir eine Gefühlsregung zu entlocken. Auch juckt es mich wirklich nicht, ob ein Jemand* mir die Sternenbilder am Himmelszelt entkodifizieren und erläutern kann, oder wir zufällig herausfinden, dass wir in der gleichen Kinderklinik in Solingen das Licht der Welt erblickten, obwohl er sechshundert Kilometer weit fortgezogen war. It’s a coincidence. Nicht mehr und nicht weniger.

Kann es bitte etwas Glitzer regnen?

Samstagabend am Küchentisch unterhalte ich mich mit D. darüber, was in unseren Augen romantisch ist. Die Situation am Elbeufer vor ein paar Wochen war es jedenfalls nicht. Und auch nicht der Abend im Jakelwood bei Kerzenschein, an dem er sich plötzlich einen Ingwertee bestellte, weil er Halsweh hatte und mit mir anfing über den Kommunismus zu diskutieren. Oh Gott. Ein seltener Moment, in dem man sich nach einem lauten Hubschraubergeräusch sehnt, das alles Gesagt übertönt und das Sprechen fortan unmöglich macht.

Nach reiflicher Überlegung fallen mir zwei Situationen ein, die ich in den ersten Monaten meines 30. Lebensjahres als romantisch emfand (wenn man davon ausgeht, dass sich ab diesem irgendein Schalter im Hirn umgelegt hatte und man von heut auf morgen plötzlich unglaublich nüchtern auf die irdischen Tatsachen blickte). Hier Nummer eins: Ich stehe bei 38 Grad im Schatten an dem Veranstaltungsort, an dem die Tagung in Essen stattfindet und benötige zur Abwechslung KULTUR anstatt Krankenhausstatistiken, Bevölkerungsprognosen und Mortalitätskurven. Sodann entdecke ich gleich neben dem Eingang ein kleines Antiquariat, vor dessen Tür bereits Berge von Büchern auf Rollwagen aufgetischt sind und mich magisch anziehen. Der erste Griff in die Masse bringt mich zu einem Werk über das Oeuvre Gustav Klimts und ich bin kurz davor zuzuschnappen. Doch aufgrund der noch vor mir liegenden Auswahl an weiteren literarischen Schätzen merke ich mir seine Position auf dem Rollwagen links außen und mache mich über die weiteren Berge her. Drinnen finde ich dann schließlich doch noch zwei andere Bücher, die sich im Abwägungsprozess an den Spitzenplatz mausern, sodass Klimt in Vergessenheit gerät. Zumindest für den Moment. Tags drauf begegne ich in der Pause dem Mann, dem ich gestern mit Begeisterung von diesem schnuckeligen Laden voller Bücher und dem kleinen Buchhändler erzählte, der inmitten dieser Bücherberge sitzt, konzentriert auf seinen Laptop eintippt oder Telefonate entgegennimmt und trotzdem einen Plan von allem hat. Schließlich wusste er genau, von wo man aus dem objektiv betrachtet chaotischen Zustand seines Ladens ein Buch genommen hatte und auch war ihm klar, dass er von Erich Fromm „Haben oder Sein“ bis vor kurzem gleich links oben im Wandregal verstaut hatte, dies aber gestern bedauerlicherweise wahrlich verkauft wurde. Die Situation in diesem Buchladen ist ein wichtiges Element meines ersten romantischen Momentes in diesem neuen Lebensjahrzehnt.

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Szene aus “Only Lovers Left Alive” (R: Jim Jarmusch 2013) | Quelle: giphy.com


Ich sehe den Mann, dem ich also mit glänzenden Augen von diesem wundervollen Erlebnis gleich nebenan berichtet hatte, in der Pause aus dem Antiquariat treten. Er hat sich meinen Tipp offenkundig zu Herzen genommen. „Das ist ja wirklich ein richtig cooler Laden“, kommt er mir entgegen und natürlich mag ich direkt wissen, was er abgestaubt hat. Stolz hält er mir ein kleines schwarzes Buch mit einem goldenen Aufdruck entgegen und ich erkenne, dass es mein Gustav ist, den er da in den Händen hält. Ich lächele und meine Wangen werden ganz warm. Mein erster romantischer Augenblick.

Die Dispositionen, aus denen sich romantische Situationen formieren, sind mit 30 komplexer geworden. Es langte jetzt nicht mehr das profane stille Örtchen nach einem grandiosen Kinofilm oder noch besser die unauffällige Hand, die einen plötzlich im Kinofilm von links umarmte. Ein bisschen komplizierter gestaltete sich dieses Unterfangen. Ich denke an meinen Opa zurück, der meiner Oma seine Jacke über eine Matschpfütze vor die Füße gelegt hat. What kind of gentleman. Mir würde ja schon reichen, wenn er beim ersten Date pünktlich wäre und Plastikbecher und Cava mit ins Kino geschmuggelt hätte. Sich ins Zeug legen ist, denke ich, das allumfassende Stichwort. Jetzt einmal ganz von den heteronormativen Komponenten in diesen Ideen abgesehen, denn das steht gerade nicht zur Debatte.

Romance und virtuelle Realitäten

Um auch aufzuzeigen, dass der Gebrauch der sogenannten „neuen Medien“ nicht der Tod der Romantik ist, erzähle ich euch gern von meinem jüngst zurückliegenden formidablen 2. romantischen Augenblick in meinem zarten Alter von 30. Ein Date, ein Sonnenuntergangspaziergang mit anschließendem Sushi-Dinner. Alles nichts Weltbewegendes, wenn nicht das Gefühl gut ist, schon klar. Zum Abschied schiebt man uns zwei Glückskekse über den Tresen und ich denke an meine letzte Glückskeksepisode, die ich selber romantisiert habe. Glückskekse waren für mich so etwas künstliches, industriell produzierte Schicksalhaftigkeit, dass ich es einfach feiern musste. Glück in einem luftgetrockneten Esspapierteig umhüllt von goldglitzerndem Plastik mit roter Aufschrift. Das war zumindest schon einmal verlockend. Er schaut mich an, vielleicht hat er bemerkt, dass ich es mit einer für ein Massenprodukt überdurchschnittlich hohen Bedeutung auflade? Ich sage: „Ich muss das bitte zu Hause aufmachen.“ Dies unkommentiert geht der Abend schön zu ende. In der Morgensonne des darauffolgenden Tages sitze ich an meinem Schreibtisch und breche den Keks entzwei. Hinaus fallen gleich zwei Papierschnipsel mit schicksalhaften Botschaften, die eigentlich nicht das romantische Kernelement dieser Erzählung ausmachen. Nein, es ist vielmehr folgendes: Ich freue mich also darüber, dass ich einerseits ein fröhliches Wiedersehen mit Freunden zu erwarten hätte und dass mein Barometer (welches auch immer) auf „Hoch“ stünde und knipse gleich ein Foto mit meinem iPhone, um es unmittelbar bei Instagram zu posten und meinen virtuellen Freundschaftsbeziehungen mit entsprechenden Hashtags kundzutun. Ich meine, der Zufall gleich zwei Zettelchen im Glückskeks zu haben, ist doch wirklich mitteilenswert. Zumindest für den Moment. Drei Stunden später entdecke ich bei Instragram den Post von ihm mit seinem Glückskeksspruch. Ziemlich cool. Wir haben bis heute nicht darüber gesprochen. Aber das finde ich romantisch. Ja, ernsthaft. Und das Nichtdarübersprechen umgibt dieses Ereignis mit einer schützenden Aura, aus der dieses romantische Gefühl dieses Morgens nicht verloren gehen kann.

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Ist das wirklich ein so komplexer Sachverhalt? Habe ich wirklich zu hohe Ansprüche, um mich des Öfteren in romantischen Situationen wiederzufinden? Ich komme zu dem Schluss, dass ich es vielleicht auch gar nicht will; inflationär häufig romantische Erlebnisse zu haben. Im Gegenteil: Ich bin schon ziemlich geerdet und viel zu viel Realistin, als dass ich mir jeden Tag dieses Gefühl ersehne. Schon komisch, einerseits wartet man schier sehnsüchtig auf diese Augenblicke gespickt mit Magie. Andererseits schämt man sich manchmal gar vor sich selber ein wenig, wenn man sich dabei ertappt, wie sehr man in solch seltenen Momenten immer noch so dahinschmelzen kann wie mit 17 oder 20. Und das ganz ohne auswendig gelernte Sternbilderexkursionen, high-quality-Gitarrensoli von zerzausten hübschen Milchbubis und Dialogen wie aus Hollywoodfilmen. Manchmal bedarf es einfach nur etwas Feingefühl. And then: It’s romance.

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