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  • AutorenbildJules Cachecoeur

Das Casablanca-Gefühl.


Wenn du einmal angefangen hast für einen Menschen ein tiefes, warmes und vielleicht manchmal viel zu intensives Gefühl zu empfinden, dann  wird dir – selbst wenn es verloren gehen sollte in den wilden Wogen nachfolgender negativer und positiver Erlebnisse in deinem Leben – dieser Mensch immer nahe sein, egal wohin du gehst, dich drehst. Die Erinnerung an diesen Menschen zeigt dir, dass  Liebe nicht vergänglich ist, sondern nur die Umstände, die Zeit sie verändert, verlagert, transformiert und wenn du eine Zeitmaschine hättest, mit der du zurück in die erste Phase dieses Gefühls reisen könntest, so würdest du dich gegen diese Reise zurück entscheiden. 

Denn ein Zurück wäre ein Einschnitt in die Logik des Lebens. Deine gesamte biografische Linie würde aus den Fugen geraten und  du würdest nicht mehr wissen, wo du stehst. Das Festhalten von Dingen, von Gefühlen, von Menschen, es macht nicht glücklich, weil alles, was ist, wie Sand durch deine Hände zu Boden rieselt. Und du wirst vielleicht weinen, wenn du das nächste Mal nach langer Zeit den Menschen wiedersiehst, den du einst so sehr geliebt hast. Du wirst ihn erblicken und dich an diese Zärtlichkeit, diese Vertrautheit erinnern, die euch verbunden hat. Es wird sich schmerzlich anfühlen. Vielleicht riecht er immer noch so wie früher und du stehst für einen Augenblick wieder in seiner Wohnung eng umschlungen in seinen Armen und er küsst deine Stirn und sagt nichts, aber du weißt, was er fühlt, weil eure Herzen wie zwei Magneten voneinander angezogen werden, durch jede andere Materie hindurch. Ihr seid anders geworden, wirst du feststellen. Älter, reifer, ernster, geschliffener, aber der Kern eurer Verbundenheit ist euch erhalten geblieben. Und dieser Kern, dieses Gefühl, das ist die Liebe.

Die Liebe in einer Sanduhr.

Der Moment, in dem Humphrey Bogart in seiner Rolle als Rick das Café Américain betritt und unerwartet auf seine große Liebe Ilse, gespielt von der zauberhaften Ingrid Bergman, trifft, ist eindrücklich. „Spiel‘ es, Sam“, sind Ilses Worte zu dem Pianisten, der zu einer anderen, vergangenen Zeit das Liebesglück zwischen ihr und Rick mitverfolgte, damals in Paris. Damals, als sie gemeinsam in das Vakuum des Friedens in einer Zeit des Chaos fliehen konnten. Plötzlich steht sie wieder vor ihm, Ilse. Und man fühlt mit, dass Rick ein Schwall an Gefühlen durchfährt. Seine Augen werden glasig, sein Atem stockt, er empfindet ein emotionales Déja-Vue. Nicht nur Ilse, sondern alles was er mit Ilse in Verbindung setzt, ist wieder da, in diesem Lokal in diesem neuen Leben, das er nach seiner Flucht aus Paris in Casablanca begonnen hatte.

Renault: “Ich frage mich oft warum sie nicht wieder nach Amerika zurückgehen? Sind sie mit den Kirchengeldern durchgebrannt? Oder mit der Frau eines Senators? Mir gefiele es wenn Sie einen umgebracht hätten-das ist der Romantiker in mir.” Rick: “Es war eine Kombination von allen dreien.” Renault: “Was hat Sie nun in Gottes Namen nach Casablanca verschlagen?” Rick: “Meine Gesundheit ich kam nach Casablanca wegen der Quellen.” Renault: “Quellen? Was für Quellen? Wir sind in der Wüste.” Rick: “Man hat mich falsch informiert.” (Quelle: http://www.filmzitate.info)

Mal davon abgesehen, dass du dir nicht ausmalen möchtest, in welchem Zustand sich Bogarts Lunge am Ende der Dreharbeiten von Casablanca (USA 1942) befand, findest du, dass er in der Rolle des Rick doch eine schauspielerische Glanzleistung hinlegt, die auch heute noch vom Hocker haut. Denn er schafft es die Figur einerseits als souveränen und konsequent agierenden Sakkoträger und andererseits als empfindsamen, verletzlichen Mann zugleich zu mimen. Auch wenn ihn die Kamera nicht explizit beim Vergießen echter Tränen einfängt, so wird durch seinen dargebotenen Zynismus und den Spitzenwert seines Alkohol- und Tabakverbrauchs diese Synthese aus sentimentaler Empfindsamkeit und Verbitterung deutlich. Auch Männer dürfen im Hollywood der 40er offensichtlich Emotionen zeigen. Das Casablanca wird für die beiden ein zweites Paris. So finden Ilse und Rick heraus, dass die beiden Enden des Liebesbandes, das aufgrund der Umstände einfach so abrupt auseinandergeschnitten werden musste, noch immer zusammenpassen.

“Ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.” (Zitat aus Casablanca)

Möglicherweise ist das Ende genau das, was du an diesem Film so liebst. Vielleicht kannst du besser damit umgehen, wenn eine Liebe oder sagen wir eher eine Beziehung zwischen zwei sich liebenden Menschen aufgrund von sozialen Bedingungen, statt plötzlich aus verloren gegangener Empfindung füreinander endet, weil man dann eine objektiv nachvollziehbare Begründung hierfür hat? Der Film erreicht dich sowohl aufgrund des Stoffs als auch aufgrund der Tatsache, dass du ihn das erste Mal mit ihm gemeinsam schautest. Damals, in eurem von Glitzer durchtränkten Vakuum losgelöst von allem Zeitlichen, Irdischen.


Du weißt gar nicht mehr genau, wann ihr den Film gemeinsam saht, du kannst dich bloß an sein Wohnzimmer, sein Sofa und seine blauen Wollsocken erinnern und daran, wie warm es an seiner Brust war, an der du dich anlehntest und wie wohl du dich fühltest, als er die Innenseite deines Unterarmes streichelte. Er erklärte dir die historischen Randbedingungen des Films, dass Humphrey in den entscheidenden Szenen auf einer Kiste stehen musste, um vor der großen und schönen Ingrid weiterhin stattlich zu wirken, oder dass Ingrid innerhalb einer Szene plötzlich ein anderes Kostüm anhatte. Du warst beeindruckt und klebtest an seinen Lippen. Wie fast immer. Vielleicht war es an Weihnachten? Langsam verschwimmt eure Geschichte in deinem Gedächtnis. Doch irgendetwas Grundlegendes überdauert.

Das Gefühl hat sich verändert, verlagert und transformiert und es überkommt dich gestern als du den Film schautest und dir diese Erinnerung an diese Beziehung, damals in deinem anderen Leben, in den Sinn kam. Nun saßst du da im OLi-Kino und teiltest den Film mit Freunden* hier in deinem neuen Leben. Fern von einem Früher, fern von dieser vergangenen Art von Schmerz und dieser vergangenen Art von Freude. Es  berührt dich, weil du weißt, dass du dich persifliert fühlst durch Rick, denn auch du wurdest verlassen, auch du wurdest übermannt bei eurem Wiedersehen ein halbes Jahr nach eurem Auseinandergehen. Du dachtest, du müsstest sterben. Du dachtest, dir sei das größte Glück der Erde widerfahren, der Höhepunkt deines kleinen Lebens. Heute stehst du vor deinem damaligen Ich und nimmst es in den Arm. Schau mal, wo ich stehe. Mach die Augen zu und lauf los.

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Quelle: pixabay


Gott sei Dank hast du, anders als Rick, in letzter Konsequenz hieraus keinen zerstörerischen Lebenswandel angenommen, sondern bist weitergegangen, fortgegangen und übergegangen zu der Person, die du heute bist. Und würde jetzt eine Zeitmaschine vor dir stehen, die dich in den Oktober 2008 zurückverfrachten könnte, du wusstest es schon seit dem Abend, an dem er dich verließ: du würdest lächelnd mit dem Kopf schütteln und genießen. Und wenn du ihn heute wiedersiehst, dann weißt du, dass dieser Kern zwischen euch niemals abhandenkommt. Und das ist prinzipiell nicht tragisch, sondern das ist Schönheit.

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