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  • AutorenbildJules Cachecoeur

Das ist keine Laufmasche, das ist mein löchriges Ego.

Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich manchmal auf die Idee kommen, es hätte Wahnsinn geregnet.

Blade Runner GIF

Quelle: giphy.com


Denn bei der überschwemmenden Feindseligkeit, die dir in nur einem kurzen Moment so manche Arbeitskollegin, Sportkurskameradin, Freundin der Freundin, Ex-Affäre des derzeitigen Partners oder vorerst einfach nur unscheinbare Frau in der Schlange an der Supermarktkasse, in Form eines Blickes entgegenzuwerfen im Stande ist, zweifelst du plötzlich daran, dass es sich hierbei um Menschen und nicht vielmehr um falsch gepolte Cyborgs handelt. Die einen nennen so etwas vielleicht eine ganz normale Nahrungskette im Selbstoptimierungszeitalter und titulieren dieses Phänomen mit dem Begriff „Neid“. Andere bezeichnen es einfach als den eingequetschten Nerv im limbischen System, der einem* die Fähigkeit der kritischen Selbstreflexion beschert. Jaja, jetzt treten wieder einmal meine hohen moralischen Maßstäbe zu Tage und ihr werdet vielleicht sagen: Als ob die nie so abwertend auf andere Frauen glotzen würde. Stimmt. Auch ich blicke vielleicht in einem unkontrollierten Moment ebenso feindselig drein wie meine soeben karikierten peers, allerdings gibt es da eine kleine Sache, die uns von vielen anderen grundlegend unterscheidet: die Einsicht. Die Einsicht, Neid zu empfinden, wenn man andere einfach als besser, schöner, schneller, erfolgreicher wahrnimmt und dies irgendetwas mit einem* selber zu tun hat, zählt für viele vernunftbegabte Wesen immer noch zu einem skill sozialer Kompetenz, der einem* nicht in die Wiege gelegt ist. Schon gar nicht, in einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder von Geburt an nach ihrem jeweiligen Erfolgs- und Wettbewerbskapital kategorisiert und sozialisiert. Ihr wisst aber schon, dass es sich bei Neid um eine Todsünde handelt, oder? Es ist kein Zufall, dass schon frühere Gesellschaften sich mit Neid auseinandergesetzt und dieses Gefühl mit negativen Sanktionen verbunden haben.

Wenn man sich mal so umschaut und umhört, dann ist Neid ein doch ziemlich dominantes Gefühl in unserem sozialen Miteinander. Es kann universal und reziprok empfunden werden und wird oft begleitet von Gehässigkeit. Als Antonym wird in der Regel „Mitgefühl“ oder „Wohlwollen“ angeführt. Neid ist eines der am häufigsten auftretenden, aus der Ich-Perspektive am demütigsten erlebten und tabuisiertesten Empfindungen in unserer Gesellschaft. Laut Kant gehört Neid zu der Emotionsfamilie der Schadenfreude und der Undankbarkeit. Ja, leuchtet ein, wenn man an die zuvor beschriebenen Furienfrauen denkt. Aber nicht nur sie, wir alle werden irgendwann einmal Adressat*in und Absender*in von Neid (und dazu zähle ich mich auch) und deshalb sollten wir uns viel offener mit diesem Thema auseinandersetzen. Neid ist Alltag, Neid ist menschlich, Neid hat etwas mit dir selber zu tun. Die Frage ist, wie man* damit umgehen kann. Kann ich lernen, sozial verträglich neidisch zu sein? Oder kann ich mich sogar zu einem Seelenzustand der kompletten Neidlosigkeit bringen?

Neidisch sein für Dummies

Am ersten heißen Tag des Jahres genießen D. und ich den Feierabend auf der Hubbrücke mit einer schönen, kalten Rhabarerschorle. Wir unterhalten uns über den ZEITmagazin-Artikel, den sie mir mittags geschickt hat, in dem es um Neid und Konkurrenz unter Frauen geht. Die darin beschriebenen Phänomene sind uns so vertraut und doch fällt es uns schwer, die richtigen Worte dafür zu finden. Ich frage mich, was ist das eigentlich – Neid? Wie fühlt er sich wo an und woher kommt er und noch viel wichtiger, wie wird man* ihn bitte schnell wieder los oder kann ihn kontrollieren? Wie gehe ich mit Freundinnen um, die Neid empfinden? Wie soll mit mir am besten umgegangen werden, wenn ich neidisch bin, was genau brauche ich da?

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Quelle: giphy.com


Als loyaler und friedfertiger Mensch hat D. für sich einen Weg gefunden, sagt sie. Es tut gut mit ihr offen darüber sprechen zu können – mir fallen wenige Frauen ein, mit denen ich das auf diese Weise könnte, zu groß sind meine Hemmungen. Irgendwie sind wir uns einig, dass (Selbst-) Reflexion der erste Schritt zur Besserung ist. Wenn ich Neid empfinde, stelle ich mir fast schon vorwurfsvoll die Frage, was mich denn gerade mit mir selber unzufrieden stimmt. In meinem Fall sind es meist keine materiellen Dinge, um die ich andere beneide. Mir ist es scheißegal, was für ein Auto jemand* fährt oder welches Smartphone jemand* hat. Es sind vielmehr ideelle Dinge, Eigenschaften, die mir diesen Stich versetzen. Wahrlich ist es tagesformabhängig, inwiefern Neidempfindungen über mich hereinbrechen. In guten Zeiten glaube ich, so ein niederes Gefühl wie Neid wäre nur eine Angelegenheit, mit denen sich andere rumschlagen müssten. Ich komme mir dann auch teilweise richtig erhaben vor, wenn ich sehe, wie sie sich alle gegenseitig beneiden, weil die eine einfach eine tolle lange Haarpracht oder große Brüste hat, während die andere mit ihrem flattrigen Schopf und ihrem AA-Cup unzufrieden ist. Dann kann ich das ganze Theater nur sehr schwer nachvollziehen. Es ist immer eine Frage der Perspektive und des eigenen psychischen Zustandes.

Farrah Fawcett Jill Munroe GIF

Quelle: giphy.com


Denn an den anderen Tagen, an denen ich wiederum ganz durchlässig nach außen bin und mir sogar eine Fliege etwas zu Leide tun könnte, da beneide ich nicht bloß Frauen, die in meinen Augen selbstbewusst, individuell gekleidet und mit blendener Rhetorik glänzen, sondern ich beneide sogar mein selbstbewusstes Ich darum, in diesen bestimmten Zeiten völlig neidfrei zu sein. An dem Punkt wird mir dann klar: Es ist nicht das Problem deiner Mitmenschen, es ist ganz allein deins und nur du kannst Einfluss darauf nehmen. Der gesellschaftlich internalisierte (Selbst-) Optimierungszwang spukt auch durch meine Hirnwindungen.

#ienvy: Ich bin neidisch.

Es scheinen insbesondere Frauen zu sein, die mit Neid ein offenkundiges Problem haben. Und in den meisten Fällen fehlt uns eine Strategie, mit diesem Gefühl offen umzugehen. Wenn ich so manche aus Neid entstandenen Verhaltensweisen bei Frauen beobachte, verstärkt sich meine Ansicht, dass besonders Frauen in der Lage dazu sind, sich gegenseitig psychisch vollkommen zu ruinieren. Mir scheint, gerade für Frauen ist es besonders schwer zu ertragen, wenn sie eine andere als schöner, besser, schneller, erfolgreicher, produktiver, integrierter erleben und sie mehr Anerkennung (insbesondere vom anderen Geschlecht) erhält als sie selber. Das belegen auch wissenschaftliche Studien zum geschlechtsspezifischen Umgang mit Konkurrenz und der Entstehung von Neid. Aber warum ist Neid ein Gefühl, das gerade unter Frauen besonders verbreitet ist und sich in häufig ziemlich feindseligen Verhaltensweisen widerspiegelt? Es liegt jetzt nicht sonderlich fern, dass man nun auf unser Frauenbild verweisen sollte. Die Frau als objektifiziertes und sexualisiertes Wesen in einer nach wie vor männlich dominierten Welt bietet so viel Freifläche für die Bewertung von außen – durch Männer und andere Frauen.

women feminist GIF by Libby VanderPloeg

Quelle: giphy.com


Indem Frauen andere Frauen selber durch diese männliche Brille betrachten, reproduzieren sie diesen auf Unzulänglichkeiten und Optimierung ausgerichteten Scannerblick und bestätigen damit die männliche Sicht auf die Frau als Objekt. Ich will nicht behaupten, dass Optimierung etwas per se Männliches ist. Diesem modus operandi ein bestimmtes Geschlecht zuzuweisen, wäre nur fatal, allerdings zeigt uns die Geschichtsforschung nichts anderes als die Dominanz der Deutungsmacht in unserer Gesellschaft seitens der Männer. Deshalb scheint das Streben nach Optimierung zwar keineswegs eine typisch männliche Orientierung zu sein, wurde jedoch von männlichen Akteuren praktiziert bis sich diese Handlungsorientierung so verinnerlichte, dass sie zu einem geschlechterübergreifenden – ja kulturellen und gesamtgesellschaftlichen Orientierungsmuster wurde. Das wäre zumindest ein mögliches Erklärungsmodell, mit dem sich der Ursprung von Neid – hergeleitet aus dem Optimierungszwang – vergegenwärtigen ließe. Was wäre aber nun die Konsequenz aus dieser historischen Einbettung? Sollen wir jetzt wie immer an unserem Geschlechtermodell schrauben und zum Kampf gegen das Patriarchat aufrufen? Schaden würde es natürlich nicht, aber ich glaube, es brächte die Optimierungsideologie nur in eine nächsthöhere Phase: Denn auch das zwanghafte Vermeiden von Neid würde wieder neue optimierte Lebensstile hervorbringen, aber nicht zu einer reflexiven Haltung gegenüber normativer Lebens-, Verhaltens- und Körperkonzepte betragen. Am hilfreichsten wäre an dieser Stelle anscheinend ein Neid-Guide für den täglichen Gebrauch, so wie es den Knigge für adäquates Verhalten zu offiziellen sozialen Anlässen gibt. Achja und zeitgleich könnten wir all unser Fortschrittsdenken von ein auf den anderen Tag über Bord werfen. Wenn denn das so einfach wäre.

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Quelle: unsplash.com


Eine gute Neidkultur in Zeiten des Kapitalismus. Unmöglich?

Wenn ich Neid empfinde, denke ich nicht nur daran, dass die Wurzeln dieses Gefühls in unserer patriarchal und nach Fortschritt und Optimierung geprägten Kultur und deren Einwirken auf die alltagsbedingten Minderausprägung meines Selbstwerts liegt, sondern bedaure auch, dass all die Energie, die mit meinen negativen Gedanken gegenüber der Person, die eine Sache oder eine Eigenschaft besitzt, die Neid in mir hervorruft, verpufft. Und noch mehr ärgere ich mich über mich selber. Dabei hätte ich mit dieser Energie auch etwas Neues schaffen können: Ich hätte dazu beitragen können einen Ort zu schaffen, an dem Neid in seiner Gestalt eine Daseinsberechtigung hat und deshalb auch offen darüber gesprochen werden kann – in besonderer Weise unter Freund*innen und Kolleg*innen – ohne dass man sich davor fürchten müsste, sich auszuliefern. Das wäre ein Ort von Geborgenheit, in dem ich mich als Person entfalten und weiterentwickeln kann. Sich verletzlich zu zeigen und offenzulegen, dass man unter dem Gefühl leidet, selbstgesteckte Ideale versäumt zu haben und gerade eine Bewältigungsstrategie sucht, mit der man dieses dunkle Gefühl wieder los wird, kann doch gerade im Austausch mit anderen (Frauen), denen es manchmal ähnlich geht, zu einer neuen, sozial verträglichen Neid-Kultur führen, in der es keine Gewinnerinnen und Verliererinnen gibt.

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