HALLO, ICH BIN DIE NEUE AUSM POTT.
- Jules Cachecoeur
- 29. Aug. 2016
- 3 Min. Lesezeit
Schon ganz vergessen, wie es ist irgendwo neu zu sein. Alles steht auf Anfang, keine Beziehungsverstrickungen sind erkennbar, ich bin rein und unbenutzt in meinem sozialen Dasein und ich passe hier auch erstmal nicht hin. Bin wie ein Fremdkörper, ein Lavastein zwischen Sandkörnern, und ich falle auf, ja, weil ich nicht in das Stadtbild passe. Die Neue. Die, die man nicht zuordnen kann, wenn sie einem auffällt. Die, die plötzlich einfach so da war, von heut‘ auf morgen.
Eigentlich ist es komisch, wenn man von einem Ort kommt, den man wie seine eigene Westentasche bereits bis ins hinterletzte Eckchen abgeklappert hatte, ein Ort, an dem man jeden Tag voraussagen konnte, wem man als nächstes begegnen wird, wer als nächstes mit einem sprach und welche Art von Konversation man miteinander führen würde. Alles ist gewohnt, weil ich hier – ja wahrlich – geWOHNT, gelacht, gelebt habe. Tot gesehene Backsteingemäuer, eingestaubte Stahlstreben, die von unten bunt ausgeleuchtet werden. Es war schwer, das Wesentliche zu erkennen, wenn man so lange alles auf einmal hatte. Jeden Tag hundert Prozent und man weiß doch gar nicht, wo einem der Kopf steht. Manchmal suchte ich verzweifelt nach neuen Wegen, die zum Bahnhof führten, neue Pfade, deren Böden ich noch nie zuvor betreten hatte, da ich tagein tagaus immer den direkten, den, den alle nahmen, abging. Die gleichen Plakate auf den Litfaßsäulen, jeden Mittwoch derselbe Obdachlose unter der Bahnbrücke, dem ich wie jeden Mittwoch einen Euro in seinen kleinen Plastikbecher warf. Dieselben verrückten Kassiererinnen im Supermarkt, die sich über die sich ständig ändernden Preise von Gemüse und fahrigen Omas ärgerten. Dieselben Menschen in der Badalona, im Freibeuter, in der Goldkante nach dem Kino, dem Theater. Ich trinke meinen Wein, proste euch zu und freue mich, dass ich mich zu Hause fühle, meine Welt hier, hab ich mir aufgebaut.
Und nun ist es so, als hätte ein schwarzes Loch all das aufgesogen. Als hätte ich mir das alles bloß eingebildet, eine schwammige Erinnerung an mehrere Jahre meines Lebens erscheinen mir plötzlich so fern, unwirklich, banal. Es ist so traurig, weil ich hier viel fühlte, an diesem liebgewonnenen Ort, Bochum, oh du mein Bochum. Du hast mich auf deinen Flügeln getragen, warst ein kleiner Vogel, eine kleine Kohlmeise vielleicht, aber ein liebenswerter Gefährte. Keine übertrieben ausgeprägten Ambitionen groß raus zu kommen, wie zum Beispiel das pfauenstolze, hippe Berlin oder das stockentenartige Düsseldorf. Du bist bescheiden und herzlich. Große Fresse nur, wenn’s drauf ankommt. Ich hab dich sehr lieb, glaubse?
Und nun sitze ich hier in einem wunderschönen Altbau, blicke auf eine kleine große Straße, auf deren Fahrbahn viel Geschichte plattgefahren daniederliegt. Ich denke, es gibt hier einiges zu entdecken, einiges aufzulesen von diesen Spuren, diesen Potenzialen, Kräften, die hier warten. Das Rotkehlchen ist vielleicht ein gutes Bild. Die Menschen sind freundlich, bodenständig. Kenne ich doch irgendwo her. Es gibt Schrebergärten, Joggingpeitschen, Ramschläden, partiellen, jedoch hier sehr schüchternen Lokalpatriotismus, drei dutttragende Hipster, Tattoos, guten Kaffee. Kein’ Plan, wat hier mit Fußball los ist, da hab‘ ich keine Ahnung von. Jedenfalls ist hier’n Currywurststand und viel viel Grün.
Und ich, die Neue, ich schwebe hier und da so durch die Gegend und suche nach Material, nach Pailletten, die man hier und da vernähen könnte, hübsche kleine Glitzerbilder, die ich in mein Album kleben kann. Auch hier gibt es Zauber, man braucht nur einen Blick für die kleinen Partikel, die im Nebel des Alltags von den Menschen, die hier herkommen, übersehen werden. Ich habe ein Faible für ausgefallene Knöpfe. Und mein Blick ist noch offen, frei, unvoreingenommen.
Ich habe große Lust darauf hier etwas Buntes zu machen, Dinge zu erleben, den Ort zu schmücken, denn gerade, weil er angeblich so brach und trist und unbelebt sein soll, muss man ihn vielleicht sehen wie einen schlummernden hübschen Vogel, den es gilt aufzuscheuchen.
Wer macht mit?
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