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  • AutorenbildJules Cachecoeur

ICH FÜHL MICH TRUMP.

Offensichtlich hat sich spätestens nach dem Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl ein bestimmtes Wort an die Spitze des Rankings für die Wörter des Jahres gemausert und in unsere Gedächtnisse und Sprachvokabulare gebrannt: Das Wort lautet Trump.

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na, wer ist das? | giphy.com


Wie Brexit, Lügenpresse, Social Freezing oder Terror-Tourismus – Trump hat großes Potenzial, um die aktuelle gesellschaftliche Stimmung begrifflich abzubilden. Nicht bloß, weil es kurz, prägnant und vielfältig reimbar oder modifizierbar ist, sondern auch bestimmte Bilder wachruft und spezifische Diskurse anschneidet.

Es ist schon ein merkwürdiges Phänomen unserer Zeit, dass sich trotz weitestgehend seriöser demokratischer Strukturen in den westlichen Wohlstandsnationen ein Wandel vollzieht, der den_die ein_e oder andere_n beunruhigt.

Mit dem Wahlausgang des Präsidentenamtes hat die US-Bevölkerung einmal mehr demonstriert, dass der Kapitalismus nach wie vor nicht überwunden ist. Vielleicht ist es aber auch nur ein Aufbäumen kurz vor dem Tod? Das wäre nicht nur meine Hoffnung, denn zumindest in den Diskursen, die ich verfolge, sind die Sprecher_innen dem Kapitalismus überdrüssig, oder – um es mit einer Wortneukreation zu formulieren – sitt und auf der Suche nach Alternativen. Da wundert mensch* sich doch umso mehr, dass es ein Oberguru des Kapitalismus auf die Position des (ehemals) mächtigsten Amtes der Welt geschafft hat. Da klingt ein Yes we can wie ein Zitat aus einem Horrorfilm.

Nicht euer Ernst, really?

Ich sitze mit G.* am Küchentisch und wir sprechen über ein Leben in der Zukunft. Während er von einer zunehmenden Technisierung des menschlichen Daseins ausgeht, werde ich auf meine humanistisch- aufklärerischen Überzeugungen zurückgeworfen und sinniere über die Zukunft des sozialen Miteinanders auf den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen. Als Mensch, Bürgerin, als Einzelne in meiner Privatsphäre zeigen sich natürlich unmittelbar die Auswirkungen von Macht und Herrschaft. Ich muss tagtäglich damit leben. Dank unseres hiesigen gepamperten Lebensstandards geschieht das meist in einem passiven Modus getreu dem Motto „Uns geht’s doch gut“. Ja, noch. Selbst G., der für mich einer der optimistischen Menschen ist, die ich jemals getroffen habe, schaut mit besorgtem Blick in Richtung Zukunft. So gäbe er dem Ganzen hier noch maximal dreißig Jahre, bis es zu einem großen kriegerischen Zusammenbruch der Festung Europa kommen wird. Ich bin beunruhigt das gerade aus seinem Mund zu hören und halte kurz inne, während er lockerflockig in sein Brot beißt. Vielleicht macht er es richtig. Es nehmen, wie es kommt, aber „heimlich“ einen Plan schmieden, sollte das worst-case-Szenario wirklich eintreten.

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Trump geht nicht spurlos an den Menschen vorbei… | Glacis Park, Magdeburg


Meine Freundin T.* aus Bremen und ich haben uns bei meinem letzten Besuch in der Nacht des gefakten Erdogan-Putschs in den Armen gelegen und sie musste mir versprechen, mich abzuholen, hier in Magdeburg, und mich mitzunehmen, wenn diese Welt zusammenbricht. Das wäre dann meine bescheidene Form eines „heimlichen“ Plans. Die Momente, in denen ich mich so klein wie eine Maus fühle und mein Kind-Ich zum Vorschein gerät, sind jene, in denen ich mich plötzlich ganz verloren und alleine fühle. Obwohl ich es de facto nicht bin. Aber es wundert mich, dass offensichtlich alle einen Plan haben, was zu tun ist, wenn es wirklich hart auf hart kommt. Ich fühle mich wie ausgeschlossen von einem großen Pool an Insider-Weisheiten über den Untergang der Welt. Ich wäre sicherlich nicht mit an Bord des Raumschiffes, sondern würde zurückbleiben auf dem Planeten – so wie Matt Damon in Der Marsianer – nur mit dem Unterschied, dass ich wohl kaum über die physische noch intellektuelle Fähigkeit besäße, spontan eine neue botanische Innovation ins Leben zu rufen, die mein Überleben sichert. Ich würde wohl elendig krepieren.

Ich bin ein scheues Tier

Inmitten jener dystopischen Grundstimmung forme ich die Worte „Ich fühl mich Trump.“ Dieser Ausspruch fängt – meines Erachtens nach – das ein, was gerade in mir vor sich geht. Trump, eine Mischung aus traurig, dumm und tumb. Traurig über die Ereignisse, die tagtäglich mit dem Sturm der medialen Berichterstattung über mich hereinbrechen, paralysiert von den Bildern, der Sprache, der Gesten. So viel Gewalt und Dummheit macht unkreativ, ideenlos, es lähmt.

Während der rothaarige Tunichtgut zu den Klängen von „You can’t always get what you want“ auf die Bühne der Welt tritt und in schier blasphemischer Manier im Fernsehen zur Welt dort draußen spricht, sitze ich in der Bahn und frage meinen Freund N.*, was das jetzt alles für Konsequenzen nach sich zieht, als wisse er mehr als alle anderen. Für einen Moment holt er mich da ab, wo ich bin, weil er mich versteht. Offensichtlich hat auch er einen „heimlichen“ Plan, genauso wie E. oder T. Haben sie alle an einem geheimen Crash-Kurs in Sachen „Fluchtmanagement im 3. Weltkrieg“ teilgenommen, oder warum wirken sie alle so aufgeräumt und präpariert?

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pixabay.com


„Du solltest wissen, worauf es ankommt“, das sind die Worte, die mir durch den Kopf gehen und ich weiß genau, dass da nicht die kleine, sondern die erwachsene Frau Fuchs zu mir spricht. Fast schon mütterlich nehme ich mich selber in den Arm und sehne mich nach einem Ort, an dem ich einfach wieder klein sein kann, klein sein darf.

Wann waren bitte die Proben für den Weltuntergang?

Aristoteles schreibt, dass laut der Logik des Verfassungskreislaufs nach der Demokratie nicht die Oligarchie, sondern die Ochlokratie, eine Herrschaft des Pöbels, folgt, während sich darauf wieder eine monarchische Verfassung installiert. Ich weiß nicht, ob der gute Mensch sich in der Antike Vorstellungen darüber machen konnte, was es bedeutet, in einer so komplexen Welt zu leben, wie unsere heutige. Aber ich weiß, dass die Auffassung eines dynamischen Verlaufs der gesellschaftlichen Ordnung etwas Positives beinhaltet. Denn Stillstand, das kommt uns dabei ganz intuitiv in den Sinn, hat nichts Gutes zu heißen. Nun, wenn wir davon ausgehen, dass sich unser ganzes gesellschaftliches Gefüge stets in einem zyklischen Fluss befindet (und das ist jetzt nicht esoterisch gemeint) und dass auf ein oligarchisches System, wie es sich zeitweilen etabliert, und auf den Untergang der Kultur durch die Barbarei eine demokratische Wende folgt, dann heißt das auch, dass wir hoffen können und nicht den Kopf in den Sand stecken müssen.

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Beast of the Southern Wild (2012) | giphy.com


Und so trotze ich dem trumpen Gefühl, befreie mein Gemüt von dekonstruktiver Lethargie und pessimistischem Training für den Ernstfall, nein, ich lebe. Ich verbringe Zeit mit den Dingen und den Menschen, die ich liebe, ich beiße dankbar und genussvoll in mein Marmeladenbrot, ich lache, ich tanze, ich weine und fühle. Denn das ist es, worauf es wirklich ankommt dieser Tage.

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