POPULÄRFEMINISMUS AUCH FÜR MAGDEBURG.
- Jules Cachecoeur
- 29. Aug. 2016
- 5 Min. Lesezeit
Eine sozialistische Feminist*in mit aktivistischen Ambitionen und einem Hang zu Popmusik, vielleicht würde so die Selbstbeschreibung Laurie Pennys klingen?!
Angeregt sitze ich an einem Montagabend im März 2016 im Publikum eines Hörsaals der Otto-von-Guericke-Universität, lausche den Worten der 29jährigen britischen Feministin (sie ist genauso alt wie ich und ist Autorin mehrerer Bücher, soviel zu „Karriere“ und erfolgreichem Leben) und habe vor allem im Zuge ihres Outings mit ihrer Vorliebe für Beyoncé das Gefühl, dass zumindest der letzte Teil des Satzes definitiv von ihr stammen könnte, obwohl ich nach ihrem Vortrag wohl auch den ersten Teil des Satzes ihrer Handschrift zugeordnet hätte. Es bleibt meine eigene, zugegeben, ketzerische Beschreibung ihrer Person.
Und doch verfehle ich die Realität hiermit nur um ein Haar: So gibt sie gleich zu Beginn ihre Neigung zum Sozialismus zu erkennen und berichtet später von ihrer aktiven Zeit mittendrin im aufgeploppten Aufstand der Occupy-Bewegung, wo sie offenkundig viel über die Realität von aktionistischem Veränderungsengagement in Ökonomie und Gesellschaft und dessen Absurditäten und Widersprüchlichkeiten gelernt hat.
Doch trotz aktueller Dystopie-Prognosen lässt es sie nicht los, sich an der Gestaltung einer guten Gesellschaft zu beteiligen. In ihrem Werk “Unsagbare Dinge” (in Deutschland 2015 im Nautilus-Verlag erschienen), über welches sie kurz spricht, schildert sie anhand eigener biografischer Stationen ihren persönlichen Weg zum „intersectional feminism“, einem Feminismus, der nicht nur die Situation benachteiligter Frauen, sondern auch die anderer Minoritäten, die aufgrund einer oder mehrerer zeitgleich auftretender, der gängigen gesellschaftlichen Norm widersprechender Eigenschaften von Ausgrenzung bedroht oder betroffen sind.
BÄM schreit mein nerdiges Herz und wünscht sich eine Zeitmaschine, um das bereits fünfzehn Jahre früher zu lesen.
Sie sei selber ein Nerd, wie sie erzählt, und distanziert sich von dem Popstar-Image, dem viele andere feministische Aktivistinnen in Folge von verheißungsvollem Ruhm erliegen und ihre einst von Herzen aus gesteuerte idealistische Leidenschaft in einer Zusammenstellung eines programmatischen nächsten Buches über den Hipster-Kuschel-Feminismus mündet und somit schlussendlich einer kapitalistischen Vermarktungsstrategie zum Opfer fällt. Laurie ist tatsächlich der Meinung, dass sie nach wie vor dieser Nerd* aus Teenagerzeiten sei, insbesondere in den Momenten, in denen sie feststellt, wie sehr ihr Lebensstil dem heutigen Idealbild der erfolgreichen, karriereorientierten, glücklich vergebenen Mehrlingsmutti widerspricht. Stattdessen macht sie sich Gedanken darüber, was ihr Tinderdate sagen müsse, um bei ihr ins Schwarze zu treffen. Dies schaffe er mit Zuhören und einem gesunden Umgang mit Emotionalität. Denn während Frauen in der Öffentlichkeit heutzutage weitestgehend sowohl männlich als auch weiblich attribuierte Verhaltensweisen annehmen können, sei der Mann noch weit entfernt von seiner Emanzipation als empfindsames Wesen und würde insbesondere im Jugendalter hierunter häufig stark leiden.
Ich erinnere mich an sämtliche Onkel und andere männliche Verwandte, die bei der Beerdigung meiner Oma keine Träne verdrückten und auch an meinen Papa, der sehr an unserer Familienhündin Bessy hing, doch dennoch keine Miene verzog, als wir ihren in ein Betttuch gewickelten Leichnam bedächtig und behutsam hinab in ein selbstgebuddeltes Loch im Garten sinken ließen.
Männer dürfen weinen und Frauen chillen.
Laurie, der weibliche Nerd* unserer Generation, eine waschechte Netzwerkfeministin, die mich an den MTV-Seriencharakter Daria und ihre misantrophe Freundin erinnert, findet es legitim, nicht alles auf einmal zu wollen, auch oder gerade als Frau. Sie plädiert dazu, wegzukommen von tradierten und festgezurrten Vorstellungen typischer „Frauenarbeit“, womit sie im weitesten Sinne die (emotionale) Arbeit in und um die Familie meint. Zwar hätte die jahrhundertelange Tätigkeit in diesem Bereich auch die emotionale Emanzipation der Frau befördert, sie jedoch auch auf sozialer Ebene mit Blick auf relevante Machtpositionen im Sozialgefüge ins gesellschaftliche Aus degradiert.
Szene aus “Perfect Sense” (2011), Regie: David Mackenzie
Und nun redet sie über die Utopie der Liebe, dem Ideal der perfekten Partnerschaft, in der immer alles interessant, inspirierend und vitalisierend ist und auf ewiglich bleibt und selten bis keine Konflikte auftreten. Sie differenziert hierbei zwischen dem männlichen und dem weiblichen Liebesideal. So ist für Männer Liebe der mit viel Aufwand errungene Preis am Ende einer beschwerlichen Geschichte, während für Frauen Liebe die gesamte Geschichte des Lebens ausmacht. Während sich bei Erstgenanntem der Wettbewerbsgedanke, den Männer schon früh in ihr Verhaltensrepertoire internalisiert haben, in Aktion zeigt, so entfaltet sich bei letztgenanntem Szenario eine Idee von Romantik, die im Zeitalter von Tinder und Co. niemals mit der Realität vereinbar ist. Einen Hoffnungsschimmer sieht Laurie an diesem düsteren Horizont, beobachte sie immer mal wieder Verschiebungen und Modifikationen bei den Lebensstilen exemplarisch an Freund*innen und Bekannten*. Und während sie sich lebhaft über die Abgründe der heutigen Beziehungskultur unserer Gesellschaft auslässt, hat das Publikum die Chance individualisierte Fragen auf Zettel zusammenzutragen, die währenddessen eingesammelt werden.
Daria (1997-2002), MTV-Serie
Mir fiel es nicht schwer Fragen zu formulieren, denn zum einen erinnerte mich ihre Argumentation an die Werke Eva Illouz’ und die von ihr vertretenen Positionen in Bezug auf Liebe in Zeiten des Kapitalismus. Da möchte ich auch mal Lauries Meinung zu erfahren. Sie kann meine Frage, die als erstes verlesen wird, nicht beantworten aufgrund des peinlichen Umstandes Eva Illouz nicht zu kennen. Ich bin enttäuscht.
Eva? Wer ist eigentlich Eva?
Zum anderen stößt mir neben diesem Fauxpas, für den sie natürlich nichts kann, nach wie vor das Festhalten an ihrem Außenseiter-Image sauer auf, nicht bloß, weil ich selber weiß, wie es ist ein absoluter Vollloser in der Schule zu sein und nun – im Erwachsenalter – als normale Erdenbürgerin gesellschaftlich akzeptiert und angenommen zu werden, sondern auch oder gerade weil sie deshalb nicht mehr dieses Nerd-Mädchen von einst sein kann, denn Nerdmädchen sind weder erfolgreich, noch beliebt und bekommen erst recht keinen Idolcharakter zugeschrieben. Man weiß vielleicht gerade so, wie sie in etwa aussehen und was genau an ihnen scheiße aussieht, sodass man um sie herum die Alltagsbelustigung des Mainstreams – im Kontext eines Klassenverbandes oder einer Volleyballmannschaft – aufbauen kann.
Laurie ist vielleicht keine Hipstertussi getarnt in feministischem Schafspelz, aber sie ist auch keine moralische Idealistin, die sich bis aufs Blut für ihre Überzeugungen einsetzt, sonst würde sie wohl kaum auf eine Lesetournee quer durch Europa gehen, um den Verkauf ihrer Bücher zu befeuern.
Was in Anbetracht dessen recht bodenständig erscheint, ist die von ihr geäußerte Tatsache, dass der in ihren Augen perfekte Beziehungspartner lediglich zuhören können müsse. Anwendungsbezogen offenbart sie Verhaltenstipps für alle „male-feminists“ von heute, versteht das Internet als Erprobungsraum für ein Spiel mit der Geschlechteridentität und rät allen Anwesenden zum Auskundschaften alternativer Beziehungsmodelle, wie das der Polyamorie.

Im Grunde ist ihr Erscheinen, ihr Auftritt, so konzipiert er auch sein mag, eine Chance für alle schüchternen Mädchen und Jungen da draußen, die noch keine Vorstellung davon haben, was Feminismus ist und was Feminismus sein kann. Ihre Worte empowern die Mädels und Jungen, sie lehren sie und uns auf uns selber Acht zu geben, Wissen sowie Energie als politische Waffen (“political weapons”) einzusetzen und Veränderungsdynamiken zugunsten einer gleichberechtigten und solidarischen Gemeinschaft voranzutreiben. Schon alleine aus dieser Perspektive heraus kann und sollte man den jüngst aufkeimenden antisemitischen Gerüchten zum Trotz Laurie Pennys streckenweise pubertär rebellisch wirkende Agitation wahr und ernst nehmen und – so die Quintessenz meines Besuches des kurzweiligen Bühnengespräches – diese für die eigene feministische Positionierung konstruktiv verwerten. Selbstverständlich nicht in einem kapitalistischen Sinne, sondern vielmehr rückbesinnend auf die grundlegende Zielsetzung von Sozialkritik: Die Welt zu einem besseren Ort zu machen, oder, wie Laurie sagen würde, unter dem Credo: „Create a good society“.
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