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  • AutorenbildJules Cachecoeur

RUNTER MIT DER PORNOBRILLE, DU VOjEL.

Laut einer Studie schauen weibliche Jugendliche im Vergleich zu männlichen Jugendlichen relativ selten aktiv oder bewusst Pornofilme. Sie kommen eher über Umwege, das heißt über das soziale Umfeld beispielsweise mit peers in der Schule, damit in Kontakt. Mädchen sind also in aller Regel unterpornofiziert.

Das erklärt für mich, dass es nicht verwunderlich ist und ich auch kein unterirdischer Nerd war, zumindest nicht allzu sehr. Denn auch ich bin nie wirklich bewusst oder aktiv mit Pornofilmen in Berührung gekommen oder habe es weitestgehend gemieden, diesem Thema Aufwendungen zu schenken. Und doch: Das große Spukgespenst PORNO geisterte durch die Schulbänke, es rankten sich Legenden, wie es ist, einen Pornofilm zu schauen, so einen wirklich echten, nicht diese billigen Erotikstreifen in den vier Sendern der öffentlich rechtlichen. Man* (pubertierende Mitmenschen unter sich) munkelte, wie es war, einen voyeuristischen Blick auf Sex zwischen Menschen einzunehmen. Man* erzählte sich, dass neben viel nackter Haut und teilweise unvorstellbar obszönen Szenen sexueller Praktiken verschiedenster Art, auch ein eher fragwürdiges Rollenverständnis der Frau konstruiert wird. Die Frau als gefügiges Wesen und einem völlig perfektionierten Körper. Darauf hatte ich schon damals keinen Bock. Oder vielmehr Angst. Darum schien ich – zumindest was die Pornofilmkultur angeht – etwas hinterwäldlerisch durch das Leben geschritten zu sein. Zumindest bis heute. Okay, dann und wann tauchten immer mal wieder Berichte über feministische Pornofilme auf, die ich ein wenig verfolgte. Aber wirklich bewusst und aktiv geschaut? No.

marilyn monroe bouncing gentlemen prefer blondes best part of the movie tbh

Quelle: giphy


Und jetzt, vor kurzem, habe ich mich, so aus dem Nichts könnte man meinen, mit dem Thema Pornografie in Filmen genauer auseinandergesetzt und das zum ersten Mal in meinem Leben. Zumindest mit einem soziologischen Blick auf dieses Phänomen. Nachdem ich in letzter Zeit immer mal wieder auf diversen frei verfügbaren, populären Pornoseiten einige kurze Pornofilmchen inspizierte und teilweise über mich ergehen ließ, gelangte ich zu der amüsanten Einsicht, froh darüber zu sein, dass ich erst jetzt – mit dreißig Jahren – hiermit in Berührung komme. Viel früher hätte mich die Konfrontation mit diesem Filmgenre eher verstört, vermute ich. Noch mehr als jetzt. Denn selbst heute, nach vielen Bekanntschaften mit menschlichen Kuriositäten und sozialen Praktiken, bin ich trotzdem erstaunt über das vielschichtige Universum, das sich mir nach erster Sichtung zweier einschlägiger Homepages mit pornografischem Videomaterial auftut. In verschiedenen Kategorien aufgeteilt wird einem* das breite Spektrum an Fantasien der sexuellen Lustbefriedigung des homo sapiens via Film vorstrukturiert dargeboten. Von hartem Sex, Anal, Oral, Trio, BDSM über Blow- und Handjob, Fuß oder Faust bis hin zu Milfs, Gangbang, dicke Frauen, Transsex und verschiedene ethnische Gruppen: jedem noch so abwegigen Fetisch wird hier Rechnung getragen. Schön und gut, dass zumindest anhand der Berücksichtigung von heterogenen User*bedürfnissen ein vielfältiges Angebot an Pornostreifen präsentiert wird. Dies deutet zumindest einen Zuwachs an Toleranz in Hinsicht sexueller Orientierungen an. Und doch stößt es mir sauer auf festzustellen, dass das Gros des filmischen Materials immer noch dominiert wird vom Blick des weißen Mannes. Durchtränkt von den verschiedenen –ismen, die auf eingestaubte mentale Zustände hinweisen, sind es natürlich auch qualitative Aspekte in den Filmen, sei es Machart, Charaktere oder Requisite und Kostüm, die mich stören. Mal abgesehen davon, dass niemand* hohe Erwartungen an die storyline pornografischer Filme hegt (warum eigentlich nicht?), so ist meines Erachtens ein besonderer Blick auf die Figuren, die im Anspruch in aller Regel ebenfalls eher unterirdisch gezeichnet sind, geeignet, um nachzuvollziehen, welche Konsequenzen das Sehen und Erleben eines solchen Videomaterials für das Subjekt haben kann.

„Step Sister Maya Bijou Fucked By Her Sleepwalking Brother“ Und wo? Ja, genau, im Bums-Bus.

Vor ein paar Tagen erschien zufälligerweise ein Artikel in der ZEIT zum Thema Porno-Websites. Laut des Autors plant Pornhub, einer der Größen in diesem Bereich, in Kombination zu pornografischen und frei zugänglichen Videomaterial ein Aufklärungsportal zu schalten. In gewisser Weise scheint man* auf diese Art der Jugendschutzgesetzgebung einiger Länder entgegenkommen zu wollen, allerdings wirkt ein solches Extra fast schon zynisch im Kontext von Videos, die die wundervollen Titel „Slutty German babes enjoy a dirty interracial bus“, „Horny Teen Gets Orgasm After Orgasm“, „Horny Latina Teen Babe Katya Rodriguez Fucks Step-Dad To Skip“ und „Two Girls Bang in Car“ tragen. Ebenfalls wäre es zynisch, wenn die Pornhub-Macher*innen sich im Rahmen des geplanten Aufklärungsportals für einen Glossareintrag „Gendermainstreaming“ entscheiden würden, denn bittererweise treten in den verfügbaren Filmchen Frauen hauptsächlich mit den typischen Rollenklischees auf die Leinwand, wie man* es vom tradierten Hörensagen aus meiner Schulzeit erwarten würde. So ist die schlecht und leicht bekleidete Protagonistin in kürzester Zeit einsatzbereit, um sich nach einer kurzen Oralverwöhnung dem männlichen Phallus zuzuwenden, dessen Auftritt mehr Aufmerksamkeit zuteilwird. Da kann pornhub noch so reflektierte Begleitfeatures einbauen. Möglicherweise bleibt der gewünschte Klick aufgrund des Bedürfnisses nach schneller Blickbefriedigung sowieso aus.

Jene aufklärerischen Maßnahmen ändern also wohl kaum etwas daran, dass der Hauptaugenmerk in pornografischen Mainstream-Videos auf dem weiblichen Körper und seine objektifizierende Abhandlung  bleibt. Und das ist im Jahre 2017 doch ernsthaft immer noch ein Trauerspiel. Während in einem kurzen pornografischen Intermezzo von etwa 18 Minuten der Vulva durchschnittlich circa 5 Minuten eine orale Zuwendung geschenkt wird, gewinnt der Penis mit Hand- und Blowjob durch die Frau den etwa doppelten Zeitraum an Beachtung und Szenen.

“Um gut zu ficken muss man ja nicht unbedingt ein Model haben An dicken Titten nippen ist auch schön”

(singt Faber im Song “J’ai toujours rêve d’être un gangster”)

Und während der männliche Körper auf sein nacktes bestes und erigiertes Stück hinunterrationalisiert ist, geht es auch schon weiter mit der Ausstaffierung der Frauenrolle im Mainstream-Porno: Denn sie, das unkomplizierte, leicht zu penetrierende Wesen, ist biegsam und gefügig wie ein dressierter Tanzbär. So kann der Mann, der Penisträger, ohne Komplikationen sein Programm abspulen; alle Stellungen werden durchdekliniert, wie der programmatisch-mechanische Vorgang einer Waschmaschine. Durch dieses immer wiederkehrende rhythmisierte und teilweise stupide Vorgehen im Zusammenspiel mit einer liebreißend und zugleich willenlosen Frauenfigur wird ein Ideal von heteronormativem Sex konstruiert, das nichts oder vielleicht nur ansatzweise mit der Realität zu tun hat. Mit der Handfläche auf den Hintern zu hauen, die nackten Brüste mit beiden Händen zu schütteln, diese Gesten deuten etwas Bemächtigendes an; sie erscheinen als Ausdruck eines herrschaftlichen Selbstverständnisses. Der Porno-Mann regiert den weiblichen Porno-Körper und nutzt ihn zur Demonstration und Etablierung einer Sexualtechnik, die ihm eine übergeordnete Position einräumt. Gemäß dieses Porno-Ideals, dem Zusammenspiel der größtenteils anspruchslosen Bebilderung, einer storyline, die es nicht darauf abgesehen hat, einen größeren Sinnzusammenhang zwischen den auftretenden Elementen herzustellen, sowie einem Rollenspiel zwischen zwei antagonistisch interagierenden Körpern, ist eine reziproke sexuelle Begegnung zwischen einem Männer- und einem Frauenkörper offenbar erst einmal nicht möglich.

Ich bin Frau, ich kann immer.

Klar, egal, wie hässlich der Vogel ist, der da sitzt und es auf die Porno-Frau abgesehen hat, ihre Libido wird nicht in Frage gestellt, noch wird dem Porno-Mann viel abverlangt, um sie in Stimmung zu bringen. Ihr Körper scheint daueraktiviert, schließlich muss für den Akt an sich kein Schwellkörper zum Einsatz gebracht werden, sondern lediglich ein Loch zur Verfügung stehen, oder auch gerne zwei und mehr.

machine gun

Quelle: giphy.com


Allem Anschein nach bin ich endgültig an die Wurzeln der gesellschaftlichen Abgründe gestoßen und schließe nach einer erfolglosen Suche nach einigermaßen ästhetischen und frauenfreundlichen Streams ziemlich entrüstet den Browser. Es ist ja nicht so, dass das Gesehene spurlos an mir vorbeigeht. Nein, es versetzt mich in eine ambivalente Gefühlslage. Es ist ein Wanken zwischen Erregung und Ekel, Fremdscham und Interesse am Medium. Aus letzterem ergeben sich folgende Fragen: Was löst eine derartig platte Darstellung von Frauen in Mainstream-Pornofilmen bei der*dem Zuschauer*in aus? Wie werden Bilder von der Art und Weise, wie Frauenkörper in diesen Filmen berührt und wie auf sie zugegriffen wird, verarbeitet? Wie kann man* jemals noch ungehemmt, frei und selbstbewussten Sex miteinander haben, wenn man* insbesondere als junger Mensch Zuschauer*in wurde?

„Das ist schlimm, oder?“, sagt D. am nächsten Tag beim Frühstück, als ich ihr von meinem nächtlichen Pornofilm-Bootcamp erzähle. Auch sie weiß, wie viele andere Frauen*, wie schlecht der weibliche Körper in den Standard-Pornos wegkommt. Welche Handlungsmöglichkeiten bleiben im Bett in Anbetracht dieser Bilder im Kopf? Meine Lösung: Differenzieren. Und Alternativen suchen und leben.

movie film vintage 1950s marilyn monroe

Quelle: giphy.com


Meine Recherche nimmt doch noch ein gutes Ende. Ich finde heraus: Es gibt Alternativen. Na, Gottseidank. So steht beispielsweise die Verleihung des PorYes-Awards im Zeichen des antisexistischen Pornofilms, bereichert ihn qualitativ, indem er die Rolle der Frau upgradet und nebenbei ermöglicht, das Medium Pornofilm durch ästhetisierte Kamerafahrten, musikalischen Untermalungen und ansprechenden Charakteren in einer sinnbehafteten Rahmenhandlung teilweise gar als Kunstgenre zu begreifen.

1990s susan sarandon thelma and louise

Quelle: giphy.com


Im nächsten Schritt werde ich mich also mit den hiesigen Preisträger*innen und deren Arbeiten beschäftigen, auch wenn hierfür vorerst eine finanzielle Investition notwendig ist. Die alternative Pornoszene floriert. Vielleicht gibt es Filme, die realistischere Entwürfe einer sexuellen Begegnung von Menschen generieren, Begegnungen, die von Respekt, Entfaltung und Freude am eigenen und am anderen Körperlichen geprägt sind. Vielleicht eine neue Chance für die Welt, die verschmierte alte Pornobrille gegen ein neues, ein alltagstauglicheres Gestell auszutauschen?!

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