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  • AutorenbildJules Cachecoeur

Verliebt sein ohne Brechreiz.


Ich starte mein Jahr 2017 sehr alternativ: Ich bin nämlich nicht mehr allein. Nee, kucke: Seit zwei Monaten habe ich einen neuen Partner. Selbst jetzt noch fällt es mir wirklich schwer diese Worte zu schreiben. Nicht, weil ich es bedauere, ganz im Gegenteil, ich bin einfach überwältigt, dass so etwas wirklich auch nochmal in meinem Leben passiert ist, nachdem ich doch schon jegliche Hoffnung aufgegeben habe. Nein. Aber das Verrückte daran: Das Singledasein hat mich keineswegs frustriert. Ich war weder verzweifelt, noch bin ich aufgrund der Überzeugung in Selbstmitleid zerflossen, dass ich einfach keinen abbekommen würde, egal was auch geschehen mag. Doch irgendwie – und ich weiß wirklich nicht wie – kam alles anders und nun kann ich diese Worte sagen, schreiben, fühlen. Ich habe einen neuen Partner. Ich bin also ein Teil in einer Zweierbeziehung. Einer ernsthaften Beziehung. Keine Finte will ich meinen. Ich werde von einem Menschen also ernst genommen als Frau, als Mensch. Ein Mensch bringt mir Respekt entgegen, ja dieser Mensch scheint gar etwas für mich übrig zu haben, was alle platonischen oder sexuellen Empfindungen, die man für eine andere Person haben kann, übersteigt.

disney ariel the little mermaid

giphy.com


Ich glaube, nein, ich weiß, wir sind verliebt. Und während ich nun diesen Satz schreibe, zucke ich vor schlechtem Gewissen und Angst zusammen. Aber wieso eigentlich? Wieso nicht einfach mal freuen über das, was gerade in meinem, in unserem Leben geschieht? Darüber, dass zwei Menschen einander so nahe fühlen (können), darüber, dass mich dieses außergewöhnliche Glück aktuell getroffen hat? Warum auch immer. Aus heiterem Himmel. Nicht, weil ich besonders brav, besonders fleißig, besonders vorbildlich oder besonders edelmütig durch die Weltgeschichte getanzt bin. Sondern weil ich mich einfach ausnahmsweise Mal zur richtigen Zeit am richtigen Ort befand.

Wer hätte das gedacht? Wenn das mein Opa noch miterlebt hätte. Als ich 26 Jahre alt war, sagte er mir mal, dass ich den Sprung auf den Zug verpasst hätte, der mich möglicherweise zu einem normalen Leben als Frau in einer triadischen Beziehungskonstellation einer bürgerlichen Kleinfamilie Mutter Vater Kind gebracht hätte. Aber er habe mich natürlich trotzdem lieb, keine Frage. Ganz ehrlich? Ich war nie traurig darüber anders zu sein, ganz im Gegenteil.

Ich bin Pärchen

Und nun stehe ich an diesem merkwürdigen Ausgangspunkt. So mit dreißig, wo alle anderen anfangen ihre Häuslebauermentalität an den Tag zu legen. Ich stehe hier noch grün hinter den Ohren, noch klein und unkonventionell wie man es von mir gewohnt ist und bin in einen Rollenwechsel verwickelt: von dem Langzeitsinglewesen, der verwünschten frigiden Jungfer, der Vision als einsame Katzenfrau im Wohnwagen im Wald zu hausen, werde ich nun von meinen Mitmenschen als normalsterbliches Gesellschafsmitglied anerkannt. Ich habe es geschafft: Ich bin kein Single mehr. Ich bin Pärchen. Mir dünkt, dass ich von nun an eine andere soziale Wertigkeit zugewiesen bekomme. So sagen sie, dass das Leben als Single sehr unsolidarisch sei. Kinderlose Singles sind die Symptome einer demoralisierenden Gesellschaft, einer Ellbogengesellschaft voller Egomanie und der Untergang des Sozialsystems. Schon klar. War selbstverständlich vier Jahre lang mein Konzept – Single sein und Menschen hassen. Und nun habe ich den Beweis gebracht, dass ich offensichtlich kein Rad ab habe, sonst würde sich meiner schließlich keine Person erbarmen, habe ich nicht Recht? Aber jetzt, wo ich den gesellschaftlichen Erwartungen entspreche, habe ich denn dann noch ein Anrecht darauf etwas zu sagen: über das Leben und Lieben oder stelle ich damit meine jetzige Partnerschaft und die  Bindung, die ich mit diesem neuen Menschen lebe, in Frage? Muss ab jetzt immer alles rund laufen? Und: müssen wir jetzt zu einem Klischee-„Pärchen-Pärchen“ verkommen – ein Bild, dessen Anblick bei mir früher (heißt bis vor drei Monaten) immer den Würgereiz provozierte?

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Quelle: giphy.com


So einfach war das gar nicht, nach vier Jahren morgens wach zu werden und die Feststellung zuzulassen: „Ja, wir sind ein Paar.“ Und das traf mich dann plötzlich einfach so aus dem Nichts. Jaja, unverhofft kommt oft, würde meine Mama sagen. Is‘ ja auch gut so. Und es hat sicherlich etwas mit meiner Entwicklung der letzten fünf Jahre zu tun. Ja, in den späten 20ern macht man in der menschlichen Reifung nochmal einen enormen Sprung, so scheint es.  Trotz meiner neu gelernten und nun jahrelang trainierten Offenheit, meiner neu errungenen Loslösung von festgefahrenen Idealen: Ich habe nach wie vor schwer damit zu kämpfen gehabt, etwas zuzulassen, was 1. neu, 2. anders und 3. gut für mich ist.

Auch Prinz und Prinzessin haben Libidoprobleme oder einen Putzplan

Mir gefällt an dem Ausspruch „Wir sind ein Paar“ Folgendes nicht: Der Paar-Begriff der heutigen, heteronormativ geprägten Gesellschaft fasst unter Paar in der Regel Mann und Frau, im Idealfall mit der nachhaltigen gemeinsamen Vision, zu heiraten und in diese (bisweilen recht garstige) Welt Kinder zu setzen. Welch gewaltige, historisch gewachsene, soziale Erwartungen uns doch auferlegt sind.  Und durch die stete Reproduktion jener Ideale begeben wir uns selbst immer wieder in die Zwickmühle und versuchen durch normkonformes Verhalten und Agieren dem Druck einer pseudoobjektiven Lebensbestimmung standzuhalten. Für welchen Preis eigentlich? Meines Erachtens nach ist der Preis unsere Mündigkeit, ja, die Unabhängigkeit und das Reflexionsvermögen, das wir uns eigentlich seit der Aufklärung anmaßen zu besitzen. Was für eine Farce.

Das Outing als heteronormatives Paar in der Öffentlichkeit ermöglicht uns das für unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit notwendige Maß an Anerkennung durch die Gesellschaft. Denn durch das Ausfüllen der gesellschaftlich gültigen Lebensform „Paar“ können wir uns erst als ganzheitlich akzeptierte und integrierte Menschen in dieser Gesellschaft fühlen, während andere, die normabweichende Liebesbeziehungen leben, im besten Fall höchstens geduldet, toleriert, leider jedoch in den meisten Fällen gemieden, übersehen oder gar exkludiert werden.

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Lars und die Frauen (USA/Canada 2007) | Quelle: giphy.com


Doch was hat diese Form von Fremdsteuerung eigentlich für mein eigenes (Gefühls-)Leben und meine eigene Bedürfnisse, meine eigenen Vorstellungen vom guten Leben und von einer guten Partnerschaft übrig? Und was kann eine gute Partnerschaft eigentlich unter derlei sozialen Bedingungen sein?

Ehe, Kind und schließlich das große Schweigen

Das Problem des Happy-End-Ideals: Und sie (der Prinz, die Prinzessin) lebten glücklich bis an ihr Lebensende, doch niemand hat je gefragt, wie sie das überhaupt hinbekommen haben. Haben sie sich denn jemals in den Haaren gelegen? Haben sie jemals sexuelle Probleme gehabt und sie gemeinsam gelöst, indem sie darüber sprachen? Haben sie sich jemals betrogen oder haben sie gar das binäre Beziehungskonzept über den Haufen geworfen und sind polygam geworden? Disney jedenfalls gab nie die Antwort auf all diese Fragen und schon als Kind fühlte ich mich völlig verarscht von dem Image, Liebe auf den ersten Blick, dann direkt Heirat und Friede Freude Eierkuchen. Was für ein hirnrissiger Mumpitz. Mal davon abgesehen, dass meine eigenen Eltern mir alles andere als die ideale Partnerschaft vorgelebt hatten, graute mir immer schon davor, mich schön bequem mit einem Mann in den Komfort einer soliden Zweierbeziehung niederzulassen, in dem die nächsten Schritte gesellschaftlich vorgegeben und daher absehbar waren: Nach fünf Jahren Beziehung und zahlreicher Experimente des Zusammenlebens  im Urlaub in eine gemeinsame Wohnung ziehen, diese mit geschmacklosem IKEA-Gedöns und einer peinlich spießigen Wohnzimmerschrankwand einrichten, ein gemeinsames Schlafzimmer mit hässlichen hellblauen Baumwollvorhängen und einer übergroßen gemeinsamen Bettdecke zu haben, ein gemeinsames Konto führen, von dem man gemeinsam seine Einkäufe zahlt, blödsinnige Diskussionen über Alltagsbanalitäten zu führen, wie beispielsweise, wann wer wie den Müll runter bringt und wann wer wie aus dem Haus geht oder seine Kumpels oder Freundinnen auf einen Umtrunk in einer Bar treffen darf/kann/will/möchte; dann schwanger werden und sich gemeinsam in der Schwangerenabteilung von C&A sackartig ausfallende Umstandsmode zu Gemüte führen und Geburtsvorbereitungskurse wahrnehmen, Baby-Ratgeber lesen und Ultraschallbilder überproportional häufig via Whatsapp an alle möglichen Kontakte in seinem Smartphone verschicken, Pläne schmieden, wie man sich die nächsten fünf Jahre seiner Beziehung und schließlich das künftige Leben in einem adretten Reihenhäuschen am Stadtrand einer größeren Siedlung vorstellt, hierfür Bausparverträge, die man zu Studienbeginn selbstverständlich vorausschauend abgeschlossen hat, auflöst und diese in architektonische Artefakte umwandelt, nach zahlreichen Streitigkeiten mit dem Bauunternehmen über Fuschereien während der Arbeit und dadurch entstandene Beziehungsprobleme schließlich doch in die gemeinsame Häuslichkeit ziehen, in dem noch so viel Platz für weiteren Nachwuchs vorreserviert ist, der infolge der nächsten drei Jahre mit einem weiteren Kind dann auch in Anspruch genommen wird, um dann schließlich nach einer aufreibenden Erziehungszeit der beiden Kinder aufzuwachen und zu merken, dass man sich voneinander total entfernt hat und sowohl sexuell als auch emotional Eiszeit in der Beziehung herrscht – ja, so oder so ähnlich wird es doch sein, zumindest ist das meine Beobachtung und ich habe seit jeher einfach nur einen tief sitzenden Ekel vor derlei schablonierten und berechenbaren Lebensverläufen, egal wie sich diese nun inhaltlich genauer ausgestalten. Ich bin auch nicht der Wahrsager*innentyp. Was bringt es mir, meine Zukunft bereits zu wissen? Da verliere ich neben meiner Lebensfreude doch jeglichen Ansporn des Weiterkommens. Und nebenbei bemerkt habe ich auch nichts gegen Menschen, für die genau DAS der erstrebenswerte Lebensentwurf ist. Blaue Gardinen und Reihenhäuser. Das ist alles Geschmackssache. Fakt ist, dass es mich beschäftigt, woher jene Normvorgaben kommen, die Menschen teilweise so tiefgreifend in ihren Biografien prägen, dass man hinterher nicht mehr auseinanderdividieren kann, was genau authentisch und was genau die Folgen einer Fremdsteuerung sind. Gibt es auch andere Wege, die man gehen kann? Wenn ja, was sind die Alternativen? Wie gestalte ich ein Leben mit einem Partner in einer monogamen heteronormativen und leider sehr klischeebesetzten Zweierbeziehung ohne gleich in die „Pärchen-Pärchen-Ich-muss-brechen-Falle“ zu tappen?

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Idyllische Ideen für eine Wohnzimmerschrankwand | Quelle: pixabay.com


Meine Vermutung ist, dass ein solches Paar-Bild unserer heutigen Gesellschaft sich aus der permanenten Angst davor ergibt, es könne morgen vorbei sein. Dank des neuen Kommunikationszeitalters (Stichwort Tinder & Co.) schwimmen wir in einem Überfluss an Möglichkeiten, einem Überangebot an  möglichen (Sexual-, Freundschafts-, Liebes-) Kontakten mit ambivalenten Konsequenzen für uns. Einerseits steigt die Wahrscheinlichkeit eine*n passende*n Partner*in zu finden mit einem erweiterten Personenpool an, jedoch stoßen die Verarbeitungskapazitäten unseres Hirns zeitgleich an ihre Grenzen. Und unsere Bewältigungsstrategie: Die Entwicklung von Heuristiken, um der Komplexität unserer Ausgangslage Herr* zu werden. Das Paar-Ideal ist eine solche Heuristik, die auf kollektiven Erfahrungswerten fußt und traditionale Lebensformen, wie die der bürgerlichen Kleinfamilie in die heutige gesellschaftliche Konstellation transferiert, ohne dabei zu testen, ob diese beiden Elemente überhaupt (noch) zusammenpassen. Die Antworten auf meine Frage nach den Inhalten einer alternativen Form der Hetero-Zweierbeziehung muss ich mir selber geben, muss sie mir mit meinem neuen Partner selber via learning by doing zusammensetzen. Denn diese Gesellschaft stellt mir hierfür noch viel zu wenige Vorbilder zur Verfügung. Klar gibt es schon seit fast einem halben Jahrhundert dank diverser emanzipatorischer Bewegungen und einflussreicher Wegbereiter*innen Ideen zu alternativen Liebes- und Lebensmodellen, aber es wird weder aktiv offen darüber diskutiert, noch existieren etablierte Strukturen im Bildungssystem oder sonst wo, die Menschen dazu anregen sich wirklich intensiv mit ihren Vorstellungen und Ansprüchen an das Leben in Partner*innenschaft auseinanderzusetzen.

Das Fehlen einer Mutmach-Kultur

Ich rechne mit einem anstrengenden, aber auch bereichernden Weg hin zu meinen Antworten und vielleicht kann ich meine Erfahrungen teilen, anderen Menschen Mut machen, ihr Leben so zu leben, wie es ihnen gut tut, egal was die anderen (und das wollen komischerweise nie wir sein) sagen?!

Ich werde darüber schreiben. In diesem Jahr.

noah baumbach

Frances sagt “Ha” | Quelle: giphy.com


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