ZUM ERSTEN MAL: EIN DIENSTAGABEND IN MAGDEBURG.
- Jules Cachecoeur
- 29. Aug. 2016
- 3 Min. Lesezeit
Es ist mein vierter Arbeitstag, mein neunter Tag in einer fremden Stadt, alles neubunt und trotzdem bin ich so ungeheuer müde, dass ich beinahe an meinem Schreibtisch daheim einnicke. Es ist unter der Woche, um genau zu sein Dienstagabend, halb sieben, draußen ist es dunkel, mild für einen frühen Märztag. Nach einem langen inputreichen Arbeitstag, einem beglückenden Abendmahl wär’ noch was drin. Und was?
Ich gehe hinaus in den bereits dunklen Abend und schaue hinüber zu den Lichtern, den Leuten. Gleich auf der gegenüberliegenden Seite, da ist das Café Central. Eine liebevoll eingerichtete, muggelige, zweietagige Lokation, in deren Küche ab 19 Uhr feinste vegane Gerichte gezaubert werden. Madame Lulu. Aber das ist eine andere Geschichte wert. An den Wänden so schöne barocke Malereien, die in goldverzierten Rahmen stecken und die tolle grüne Tapete mit den Ornamenten. Ein Ort, der – so vermute ich – die alternative Hipster-Minderheit der kleinen Stadt anzieht. Das Publikum ist gemischt, gesprächig und genügsam: Während die wunderschöne Kellnerin gar nicht mehr mit dem Ausschenken nachkommt unten an der Theke, läuft die Küche auf Hochtouren und geduldig wartet man auf sein Abendessen, sein Feierabendbier oder seinen Bio-Wein. Verübeln kann man es ihnen nicht, es ist voll wie bolle und zunehmend heiß wie in der Sauna. Und warum, es ist Dienstagabend…Sind die Leute hier komisch? Nein, sie haben vermutlich Sehnsucht, genauso wie ich, nach Live-Musik, sind neugierig auf das, was die Konzertveranstaltergruppe Musikkombinat uns da kredenzt. Da ist es auch scheißegal oder gerade wundervoll, dass es Dienstagabend ist.
Bender & Schillinger, eine tolle Band mit starker Live-Performanz aus Mainz, sind mit ihrem neuen Album “Irony” auf Deutschlandtournee und mit dabei haben sie Tom Klose, einen wirklich seltsamen Vogel, so zumindest mein erstes Empfinden. Ein Witzbold sondergleichen, lustige Anmoderationen; bisschen wirkt er optisch für mich wie eine Mischung aus William Dafoe und David Bowie, um ihn einer Schublade in meinem wirren Kopf zuzuordnen. Schön oberflächlich.

Leute, die Musik, die Stimme, das Timing – einfach großartig! Und mit diesem ganzen Tamtam, seinem Auftreten, ein wahres Golderlebnis. Die Loop-Station kann er erstklassig bedienen, was mittlerweile bei dem exponentiellen Anstieg ihres Einsatzes in der aktuellen Folk-Singersongwriter-Indie-Szene ja nichts besonderes mehr ist (aber nach wie vor eine große Kunst!), bringt erstaunliche Wua-Wua-Effekte mit, die seine kräftige und unerwartet dunkle Stimme begleitend unterstreichen. Eine gelungene Einstimmung auf das musikalische Hauptgericht des charmanten Mainzer Duos, was uns serviert wird. Bender & Schillinger bringen mir ein bisschen Bochum, ein bisschen Pott, ein bisschen Heimat mit in die neue Stadt, hatte ich vor über einem Jahr mal das große Glück die beiden live im I AM LOVE zu erleben. Damals bereits beeindruckt musste ich meinen Weg an diesem Abend einfach hierher einschlagen. Linda, deren samtige Stimmkolorationen von ihrem Schlagzeug- und Keyboardklängen untermalt werden, und Chris umgibt eine warme Aura. Das mag an der Tatsache liegen, dass hier zwei sehr gute Freunde gemeinsam Musik machen und Musik ist da vielleicht auch das Medium, um sein gutes Gefühl füreinander zu zelebrieren?! Jedenfalls machen sie da weiter, wo Tom vor ihnen aufhörte: tiefgründige Musik mit ebenfalls tiefgründigen Texten zu fabrizieren, die all den Menschenkindern, die es heute Abend ins Central geschafft haben, gut tut. Und dementsprechend warm erstrahlt der ganze Laden, weil alle häppy sind und nicht nur aufgrund des guten und des feisten Essens beseelt Heim gehen können.
Spät gehe ich hinüber über die Straße, atme die Nachtbrise tief ein, horche den Stimmen der wenigen Menschen am heutigen Abend da draußen und finde es richtig gut, dass ich genau heute genau hier bin.
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